Herbert stellt eine zeitgenössische Ausgabe des reichen Geizkragens und Krawallverweigerers dar. Den Spieleentwickler mit einer Vergangenheit als Berufssoldat überfordert es, wenn seine Frau „mit einem Kind am Busen … weiterknutschen“ will.
„Diese Vermischung von Zuständen“ hält er nicht aus.
Doch am Ende vom Lied nimmt er im Ferienhotel mit dem „schmalen Beistellbett“ vorlieb, um des lieben Friedens willen. Gegen seine Kinder kommt Herbert nicht an, und gegen diese Einsicht ist kein Gras gewachsen.
Julia Malik, „Brauch Blau“, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, 217 Seiten, 22,-
Herbert organisiert seine kleinen Fluchten mit Hilfe von Whisky und Gras. Er nähert sich dem Stadium des Eigengeruchsfetischismus. Er nimmt Zuflucht zur Migräne, die sich gern kinderfern mit ihm in Rauchwolken hüllt.
Er absentiert sich so gründlich, dass es zu der Feststellung kommt: „Seit zwölf Monaten wohnt sie … allein mit den Kindern“ in einer Wohnung, die sie mit Herbert vor dreizehn Jahren bezogen hat.
Erinnerungen quellen aus dem Erzählgepäck. Sie schildern Einzelheiten einer verschütteten Vergangenheit, während die erweitere Gegenwart im Dunklen bleibt. Die Erzählerin, von Herbert Schnullita genannt, hat eine Lücke, die sie in den Wahnsinn treibt. Ausgangspunkt ihres Desasters ist das Erwachen wie aus einer Narkose in einem Hotelzimmer. Die Gegenstände im Raum kann Schnullita kaum mit sich in Einklang bringen. Sie weiß nur, es muss ein Davor mit ihren in ein Zeitloch gefallenen Kindern gegeben haben.
Nun ackert sie zurück auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Unterwegs trifft sie seltsame Gestalten, denen sie bekannt zu sein scheint. In einem Dorfgasthof mit Fremdenzimmer vermutet sie ihre Kinder.
Doch wie sind die dahin gekommen?
Julia Malik jubelt dem Leser einen aufgerauchten Teppich des Vielleicht und Möglichweise unter. Schnullita weist Merkmale einer Rauschgiftkonsumentin auf. Die Unbefangenheit der Zeitgenoss*innen ordnet sie einer ihr fremd gewordenen „heilen Welt“ zu. Dann erreicht sie ein Gruß aus ihrem Vorleben. Nun weiß sie sich auf der richtigen Fährte. Ihre Töchter können, anscheinend wohlauf, nicht weit sein.
Der Titel des Romans spielt auf den In-Talk der Geschwister an.
Man muss sich erst mal einlesen, aber dann hat man etwas schwer Beunruhigendes für einen Vormittag mit Kaffee und Corona-Neuigkeiten im Hintergrund. Das Virus macht mich zum Vorbild. Kein Publikumsverkehr, keine Außentermine. Schnullita hechtet inzwischen ihrer Vergangenheit hinterher. Der Abstand wächst sich aus und fängt an zu grassieren.
Wahrscheinlich hat sie den Anschluss früher verpasst als sie es dem Leser weismachen will. Also könnte alles auch ganz anders (gewesen) sein.