Gerda Taro bereichert die Ikonografie des republikanischen Widerstands in Spanien ab 1936 als Porträtierende und als Porträtierte. Ihre Arbeits- und Lebenshochzeit erlebt sie gemeinsam mit Robert Capa (Endre Ernő Friedmann), in dessen Schatten Taros Œuvre abtaucht. Beide sind Pioniere der fotografischen Autorenschaft. Gemeinsam entwickeln sie einen passioniert-empathischen Dokumentationsstil.
Willkommen im Club 27
„Das Mädchen mit der Leica“ – Die Titelheldin, eine in der Schweiz sozialisierte und in Leipzig zur Sozialistin gewordene Stuttgartin mit galizischem Hintergrund, erlangt als erste Kriegsfotografin kurzzeitig Weltruhm. Gerda Taro (Gerta Pohorylle, 1910 - 1937) flieht bereits 1933 nach Frankreich. In Paris macht sie eine Fotografin aus sich. Sie bereichert die Ikonografie des republikanischen Widerstands in Spanien ab 1936 als Porträtierende und als Porträtierte. Ihre Arbeits- und Lebenshochzeit erlebt sie gemeinsam mit Robert Capa (Endre Ernő Friedmann), in dessen Schatten Taros Œuvre abtaucht. Beide sind Pioniere der fotografischen Autorenschaft. Gemeinsam entwickeln sie einen passioniert-empathischen Dokumentationsstil. Im Juli 1937 fotografiert die Parteigängerin bei El Escorial einen deutschen Luftangriff. Sie gerät unter die Ketten eines befreundeten Panzers und stirbt rechtzeitig für den Club 27*. Sie scheidet als Götterliebling und Massenidol aus. Zwar kriegt sie ein fulminantes Begräbnis auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise, mit Pablo Neruda und Louis Aragon in der Premiumtrauerreihe und einem Grabstein von Alberto Giacometti, wird dann aber rasch vergessen.
Der mexikanische Koffer
Wir kennen das Phänomen. Capa überlebt das spanische Engagement. Er fotografiert die Alliierten am D-Day in der Normandie. Ihn erwischt es 1954 im Indochina-Krieg in Thái-Bình. Sein Ruhm scheint unvergänglich.
Helena Janeczek, „Das Mädchen mit der Leica“, Roman, Deutsch von Verena von Koskull, Berlin Verlag, 350 Seiten, 22,-
*„Es begann (bestimmt nicht erst) mit dem Tod von Brian Jones († 1969), der zum ersten „Mitglied“ des (Nachkriegsklubs) wurde. Anfang der 1970er verstarben die Musiker Jimi Hendrix († 1970), Janis Joplin († 1970) und Jim Morrison († 1971). Nach dem Suizid von Kurt Cobain († 1994) erlangte das Konzept des „Klub 27“ große Bekanntheit. So wird der „Klub“ seit dem Tod Cobains in dutzenden Musikmagazinen und Fachzeitschriften als auch in der Tagespresse immer wieder zitiert. Mit dem Tod der Sängerin Amy Winehouse († 2011) erlangte der „Klub 27“ erneute Aufmerksamkeit.“ Wikipedia
Jahrzehnte nach ihrem Tod entdeckt man in nachgelassenem Diplomatengepäck achthundert Negative von Taro. Der Fund lässt das Interesse an der Fotoreporterin aufleben. Er untermauert Taros Souveränität.
Weiß man das alles, entwirrt sich Helena Janeczeks assoziative Annäherung. Die Medizinerkoryphäe Willy Chardack erinnert sich im ersten Durchgang mit dem Abstand von über zwanzig Jahren an das Großereignis der Beerdigung. Die Trauerkolonne wälzte sich „mit quälender Langsamkeit“ über das Pflaster.
„Der Schweißdunst der Arbeitermassen …“
Die Vereinnahmung war total. Taros Tod gehörte der Republik, nicht nur der spanischen. Beansprucht wurde die schönste Leiche der Revolution auch „von der Flüchtlingsbohème und der Pariser Intelligenzija“.