Am Vorabend der Abriegelung
Am 22. Januar holt Fang Fang ihre aus Japan heimkehrende Tochter am Flughafen von Wuhan ab. Die Straßen sind schon gespenstisch leer. Eine allgemeine Anspannung ist mit Händen zu greifen. So fühlt sich eine Katastrophe im Anmarsch an.
Keine Begrüßungstumulte.
Fang Fang fühlt sich wie in „schneidendem Wind und eisigem Wasser“.
Fang Fang, „Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“, aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann, Hoffmann und Campe, 380 Seiten, 25,-
Mutter und Tochter absolvieren den Parcours des Notwendigen in bedrücktem Schweigen. Neujahr (nach ihrem Kalender) wollen sie getrennt verbringen. Die Tristesse von Ungewissheit und Angst sowie die Aussicht auf häusliche Quarantäne liefern dystopische Stimmungen. Fang Fang sucht Trauer heim. In den nächsten Tagen ist Trauer ihre einzige Begleiterin. Die Bürger*innen schotten sich auch im öffentlichen Raum ab. Die Krise fühlt sich wie eine Strafe an. In einer extrem konformistischen Gesellschaft wirkt Vereinzelung stigmatisierend.
Die Straßenkehrer*innen gehen weiter ihrer Beschäftigung nach, obwohl es kaum was wegzufegen gibt. Fang Fang beobachtet „äußerste Sorgfalt“ an einer Nahtstelle zum Wahnsinn. Sie registriert Resilienz zu ihrer Beruhigung.
Das Versagen lokaler und regionaler Behörden beschäftigt die Chronisten in den folgenden Tagen. Schließlich übernimmt Peking. Nun weiß jedermann, „dass in China sämtliche Kräfte mobilisiert werden, (da) der Staat auf nationaler Ebene“ interveniert.