Er ist ein Selbstläufer. Unerreichbar für die Moden und Marotten einer verhauenen Jeunesse. Der Krieg ist gerade einmal fünf Jahre vorbei, als Hermann Flade, kaum achtzehnjährig, Charakter beweist. Er steht gerade, während andere buckeln und sich wegdrücken. Am 15. Oktober 1950 geht die Wahl zur ersten Volkskammer als Pflichtprogramm über die Republikbühne. Wer zum Ankreuzen nicht aufkreuzt, muss mit Sanktionen rechnen.
Karin König, „Die Freiheit ist mir lieber als mein Leben. Hermann Flade – Eine Biographie“, 40 Abbildungen, Lukas Verlag, 200 Seiten, 19.80 Euro
„Die Wahl ist eine ... Farce“, schreibt Karin König.
Flade opponiert mit Flugblättern gegen die Scheinwahl. Die Wahlbeteiligung liegt knapp unter hundert Prozent.
Parteilichkeit ist das Gebot der Stunde.
1950 verurteilen DDR-Gerichte „78000 Angeklagte wegen politischer Delikte”. Unter dem staatlichen Gewaltschirm „können politische Konflikte nicht offen ausgetragen werden”.
Protestäußerungen fehlen die großen Kaliber bürgerlichen Selbstbewusstseins.
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Ende der Vierzigerjahre bilden sich an Oberschulen in der Sowjetischen Besatzungszone Widerstandsgruppen. Gymnasiasten bieten „der SED-Diktatur die Stirn“ mit kleinen Manövern. Im thüringischen Altenburg sind Lehrer mit von der Partie. Die Subversion gipfelt in der Störung einer Rundfunkfrequenz. Das Ministerium für Staatssicherheit macht eine große Sache daraus. Verhaftete werden an den NKWD überstellt. In einem Geheimprozess versteigt man sich zu Hinrichtungsanordnungen. Die Delinquenten werden für die letzten Maßnahmen nach Moskau verbracht.
Flades Kindheit im Erzgebirge
Bauern auf kargen Boden sind die Erzgebirgler beinah von jeher. Bereits im 17. Jahrhundert stand man vor dem Ruin erschöpfter Bodenschätze. Das Klöppeln und die Feierabendschnitzerei gehören zu einer Armutsproduktion mit sich selbst verklärenden Aspekten im „Weihnachtsland“, das als protestantisches Zentrum eine eigene Gravitation hat. Davon profitiert heute die Tourismusindustrie. Sie vermarktet Idyllen mit märchenhaften Anmutungen.
Der 1932 in Würzburg auf die Welt gekommene Flade wächst in Olbernhau auf. Die Kleinstadt im sächsischen Erzgebirgskreis ist der Geburtsort seines Ziehvaters. Der leibliche Vater spielt im Takt der mütterlichen Regie weiter keine Rolle.
„Der Mann war Schlosser, und es war mir nicht wegen der Liebe, ich wollte ein Kind.“
Erst unter dem nationalsozialistischen Konformitätsdruck entschließt sich die mit einer Waisenhaussozialisation geschlagene Therese Breul zur Ehe mit einem gefälligen Mann, dem die Anpassung zur zweiten Natur geworden ist; so dass man ihn als Parteigenosse kennt. Das Kind im Haushalt ist aus anderem Holz geschnitten. Flade verweigert sich den jungvölkischen Sperenzchen. Intuitiv lehnt er die paramilitärische und autoritäre Struktur der NS-Nachwuchsschulung ab. Er bindet sich an den katholischen Pfarrer in einer erzevangelischen Gegend.
„Der war ja katholisch“, werden ihm die Leute einmal nachsagen. Dem Lutherischen Volk reicht das als Erklärung der Andersartigkeit.
Eine interessante Nebenspur: Olbernhau ist durch und durch reformiert. Dann kommen mit den Geflüchteten („Umsiedler“ nach der offiziellen Sprachregelung) „verstärkt Katholiken in den Ort“. So geht eine gemeinhin unbeachtete Gegenreformation vonstatten. Evangelische Landstriche haben plötzlich wieder eine Opposition wie seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr.
Das macht doch was mit einem. Ewig war man unter sich, war evangelisch und lobte seinen Luther. Und nun sind die anderen wieder da. Katholische Gottesdienste hält man in einem aufgelassenen Gasthof ab. Mehr Entgegenkommen gibt es nicht. Heute signalisiert der Internetauftritt Kontinuität im geistlichen Leben von Olbernhau. Dass da eine Lücke von Jahrhunderten klafft, fällt nicht auf.
Seit dem späten 17. Jahrhundert fertigt man Büchsen in Olbernhau. Ein Weilchen verband sich mit dem Städtchen die einzige sächsische Gewehrmanufaktur.