In einer späten Verurteilung wird Manolescus Schuldunfähigkeit festgestellt. In einem festen Krankenhaus (der Berliner Irrenanstalt Dalldorf) schreibt der Verwahrte seine Memoiren, die genauso gut als Totalfiktion durchgehen könnten. Der Autor blickt auf ein so unwahrscheinliches Leben zurück, dass die einzelnen Stadien wie Atolle aus einem Meer der Phantasie ragen. Mir ist klar, dass der Satzbau nicht stimmt. Er funktioniert aber auf der Metaebene. Manolescu gelang es, die Phantasie ins Boot zu holen. Wäre Donald Trump eine andere Sorte Hochstapler, vielleicht gäbe es eine Möglichkeit, seine Schuldunfähigkeit festzustellen. Manolescu tickte wie Trump tickt: Keep it simple and make it big.
Vom Kellner zum Kavalier
In San Francisco schließt sich Manolescu einem englischen Kaufmann an, der entschlossen ist, Honolulu und Japan auf die Landkarte seines Erfolgs zu setzen. Auf dem Weg nach Yokohama überlebt der Reisende die Giftkur einer Enttäuschten. Der Erzähler rauscht über den Anschlag hinweg. Bald reizt ihn der Wohlstand einer blutjungen Witwe, die ihn mit Anträgen überhäuft.
Sie lebt immerhin in einer Villa und verfügt über ein bis zur Drolligkeit dressiertes Personal.
Manolescu investiert seine Vorzüglichkeit und weicht einem „lebhaften Verkehr“ nicht aus. Dabei erscheint es ihm „wenig verlockend, mit einer Japanerin behaftet“, in Europa aufzuschlagen.
Fürst Lahovary/Georges Manolescu, „Mein abenteuerliches Leben als Hochstapler“, aus dem Französischen von Paul Langenscheidt, mit einem Nachwort von Thomas Sprecher, Manesse, 444 Seiten, 24,-
Der Witz solcher Kolportagen einer hochstaplerischen Praxis liegt in dem bis zum theatralischen Gipfel hochgefahrenen Schauspiel der Selbstüberhöhung. Lebenstechnisch steht der bluffende Rumäne unter dem Diener. Allerdings setzen beide ihre ganze Gewissenhaftigkeit daran, der Hausherrin angenehm zu sein.
Erfüllung in der Folgsamkeit
Der Hochstapler und der Diener zeigen sich energisch. Der eine nennt seine Beflissenheit eine Tugend, der andere ist stolz auf seine Unverfrorenheit. Man kann das eine wie das andere degoutant finden, und, wenn man analytisch weit genug geht, auch pathologisch einordnen. Der servile Auftritt des Dieners unterschreitet den Begriff der Menschenwürde womöglich mit einem Mutwillen, der in irgendeiner Kammer geboren wurde; vielleicht in einem pubertären Versäumnis. Warum sollte sich der Hyperbeflissene nicht unter die Sohlen seiner Herrin träumen und in der Folgsamkeit absolute Erfüllung suchen? Während sich der Gernegroß feiern lässt, ohne materiell auch nur mit dem Kriecher (in einer Arena der Redlichkeit) konkurrieren zu können. Kein Eis kann er sich leisten, ohne zuvor jemanden betrogen zu haben.
Zum Abschied erhält Manolescu von seiner Gönnerin „einen Scheck über eine unverhältnismäßig hohe Summe auf die Englische Bank in London“. Das Vermögen verliert er umgehend an seinen Lebenswandel. Zwei Jahre später vermacht ihm die „schöne Ungarin“ (und spielsüchtige Witwe) Marianne eine Villa in Menton an der Côte d‘Azur. Sofort verzockt er den Besitz und vergrößert sein Verhängnis, bis er wieder im Gefängnis sitzt.
Fürst Lahovary, der als Georges Manolescu nicht arm, aber auch nicht adelig geboren wurde, bekennt in seinen Memoiren, nie Furcht gekannt zu haben. Mit vierzehn quittierte er eigenmächtig den Kadettendienst in der rumänischen Marine, um als aufgeflogener blinder Passagier in Konstantinopel zu stranden. Da ging er vom Mundraub zum Diebstahl über. Er bestahl eine erstrangige Persönlichkeit, die sich als Gönner des Trebegängers in die Reichweite des Ruchlosen begeben hatte. Nun machte Manolescu einen fliegenden Händler aus sich. Ach, was war das fad. Dann doch lieber auf den Champs-Élysées antichambrieren ... mit dem Ehrgeiz, sich der Gunst „eines sehr reichen Mädchens“ zu versichern, die ihm eine jährige „Rente von wenigstens fünfhunderttausend Franc“ einbringen konnte. Das Unternehmen verlangte den Showroom eines aufwendigen Lebens, das sich mit Raub und Veruntreuungen solange bestreiten ließ, bis der erste Arrest die Sommersonne von 1890 verdunkelte.
Schlitzohriger Gesellschaftslöwe
Sich für Augenblicke erfinden, in den Augen einer Schönheit ertrinken. Das versteht Georges Manolescu, der als Fürst Lahovary reüssiert, unter einem gelingenden Leben. In Monte Carlo setzt er einmal wieder alles auf Rot. „Eine kleine Russin“, im Ornat der superb-blühenden Witwe, beobachtet sein „unglückliches Spiel“.
Und wieder starb einer rechtzeitig, um zwei Turteltauben „einige gemütliche Wochen“ einzuräumen. Sex ist das eine, Geld das andere. Des gravierenderen Mangels wegen reist Manolescu via Genf gen Halifax. Dem Vernehmen nach „fliegt“ er nach Kanada. Wir reden über das Jahr 1895. Vielleicht steht fliegen für fahren mit einer gewissen Leichtigkeit. Im Hotel Victorio steigt der schlitzohrige Gesellschaftslöwe in eine Pokerpartie ein und erhebt sich mit siebzehntausend Dollar Gewinn. In Chicago kreuzt er als „gesuchter Kavalier“ auf. Er nimmt den Titel eines Herzogs an. Von einer fabelhaften Partie trennt ihn bald nur noch die lächerliche Vorsicht der Eltern, die vom Bräutigam einen aristokratischen Herkunftsbeweis verlangen. Der mit allen Wassern gewaschene Galan versucht die Misstrauischen zu übertölpeln, muss aber das Feld räumen, ohne abgesahnt zu haben.
Manolescu kapituliert vor der Vorsicht als Doppelhelix aus Mutter & Vater.
Ein ruhiger Vorbehalt erwies seine Effektivität gegen das Feuerwerk der Scharlatanerie.
Die Totalfiktion und andere Husarenstücke eines Wahnsinnigen
So geht es weiter. Ohne Unterlass düpiert Manolescu den Anschein. Er bleibt überlegen, oft gegen jede Wahrscheinlichkeit. Manolescu gewinnt das Vertrauen seiner Verfolger in den ausgefallensten Verkleidungen. In San Francisco schließt er sich Geheimoperateuren der Kriminalpolizei an. Einem Unbescholtenen hängt er jene Straftat an, die ihn in den Augen des anderen verdächtig erscheinen lässt.
Und eben da muss ich einhaken. In einer späten Verurteilung wird Manolescus Schuldunfähigkeit festgestellt. In einem festen Krankenhaus (der Irrenanstalt Dalldorf*) schreibt der Verwahrte seine Memoiren, die genauso gut als Totalfiktion durchgehen könnten.
Der Autor blickt auf ein so unwahrscheinliches Leben zurück, dass die einzelnen Stadien wie Atolle aus einem Meer der Phantasie ragen.
Mir ist klar, dass der Satzbau nicht stimmt. Er funktioniert aber auf der Metaebene. Manolescu gelang es, die Phantasie ins Boot zu holen.
Wäre Donald Trump eine andere Sorte Hochstapler, vielleicht gäbe es eine Möglichkeit, seine Schuldunfähigkeit festzustellen. Manolescu tickte wie Trump tickt: Keep it simple and make it big.
*„Die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (KBoN), im Berliner Volksmund als Bonnies Ranch bekannt, war zwischen 1880 und 2006 eine psychiatrische Klinik in Berlin, zuletzt unter der Bezeichnung Vivantes Humboldt-Klinikum. Ältere Namen sind Krankenhaus Reinickendorf – Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, Karl-Bonhoeffer-Heilstätten, Wittenauer Heilstätten und Irrenanstalt Dalldorf.“ Wikipedia
Setzt Georges Manolescu achtsam eine Hand ans Kinn des Feindes, dann „appliziert“ er. Soviel Noblesse muss sein. Bewandert ist der (bis zum Verdruss der Spießer) sich selbst monumental feiernde Held, wer erinnert sich da nicht an einen anderen rumänischen Ego-Shooter, ich meine Ion Tiriac, sowohl im englischen als auch im französischen Boxen. Mir macht diese Unterscheidung Spaß. Das englische Boxen als Abfallprodukt des Fechtens zu bezeichnen, nimmt der Sache nichts von ihrer Großartigkeit. Das französische Boxen (Savate) findet seinen historischen Ursprung in der klassischen Hafenschlägerei. Manolescu kommt mit einem Frontkick zum Kopf mit jemanden ins Gespräch, der sich für bewandert hält.
Manolescu landet einen Coup de savate.
Er wiederholt sich einfallslos; indigniert ob der Verfassung, in die sein maßgeschneiderter Anzug im Zuge einer Zerrerei versetzt wird.
Aus der Ankündigung: Hoteldieb, Hochstapler, Glücksspieler. Georges Manolescu, um 1900 eine Weltberühmtheit, gebot über alles, was es braucht, um die Welt im großen Stil zu betrügen: gutes Aussehen, Charme, Geistesgegenwart, 1-A-Manieren, Chuzpe und «ein elastisches Gewissen». Als falscher Fürst Lahovary steckte er alle und alles in die Tasche, betörte die Schönen und Reichen und brachte es sogar zu künstlerischen Ehren: Thomas Mann setzte ihm mit dem «Felix Krull» ein weltliterarisches Denkmal, und Ernst Lubitsch huldigte ihm in der Filmfigur des Juwelendiebs «Gaston Monescu». Seine Memoiren waren Manolescus wohl raffiniertester Clou. Hier erfährt man amüsiert, mit welchen Bluffs sich der arme Schlucker aus der rumänischen Provinz in schwindelnde Höhen empormogelte. Zugleich verspottet der «Jahrhunderthochstapler» (Peter Sloterdijk) aber die Adelsgläubigkeit der besseren Kreise, ihre Oberflächlichkeit und Einfalt - ein unverschämtes Lesevergnügen.
Diese Neuausgabe, die erste originalgetreue seit über hundert Jahren, vereint beide Bestsellerbände des Jahres 1905, «Ein Fürst der Diebe» und «Gescheitert. Aus dem Seelenleben eines Verbrechers».
»Der eleganteste, raffinierteste und bedeutendste Gentleman-Verbrecher.«
Berliner Illustrirte Zeitung