Der Mensch begann sein Gebet im Wald. Seine ersten Kathedralen waren Kronendome. Jetzt, da die Menschheit im Eimer ist, kehren Sehnsüchtige aus der gehobenen Mittelklasse zu retardierenden Andachtsritualen zurück unter Bäume, die schon vierzig Meter aufragten, als Shakespeare seine Stücke schrieb. Sie folgen Trapper*innen auf Trampelpfaden durch das letzte echte Unterholz der Welt. Davon erzählt Michael Christie in seinem klimaneutral produzierten Klimaroman „Das Flüstern der Bäume“.
In den guten alten Zeiten vor dem großen Welken erntet der trockene Alkoholiker und sesshaft gewordene Landstreicher Everett Greenwood Zuckerahorn. Das ist eine Sache intuitiver Handarbeit. Schlägt Greenwood einen Spund zu tief ein oder nicht tief genug in den Stamm, verfehlt er den Saft.
Der Waldgänger zieht Bäume den Menschen vor. Auch Wälder sind Gesellschaften mit Hierarchien und superkomplexen Subsystemen, die das Überleben raffiniert nach unten delegieren; bis man glaubt, da käme nichts mehr.
Und dann geht es erst richtig los mit all den Proteinen to go. Nichts hält fitter als eine Diät aus Maden, Würmern und wildem Sellerie.
Überall hängen Werkzeugkästen der Natur und spielen dem Introvertierten Möglichkeiten in die Hände.
Krautknabenkiller
Greenwood wurde als Soldat im Krieg so enthemmt wie gar nicht viele. Die meisten sprengen sich nicht ab von ihren Sicherungen. Auf dem Sockel eines erweiterten Notwehrbegriffs halten sie vor dem Killerstadium an. Aber Greenwood, der alte Blessiertenträger mit einer Latte getöteter Krautknaben („auf so manchen Kraut geschossen, viele davon kaum mehr als Knaben“) auf dem ruhigen Gewissen, hat nach dem Krieg weitergemacht und eine Blutspur entlang der US-amerikanischen Schienenstränge gelegt. Er wäre schnell fertig mit dem Säugling, den er eines Morgens aus dem Tau nimmt. Allein der erfahrene Fährtenleser weiß, dass auch er gefunden werden kann: von der britisch-kanadischen Gebirgspolizei, deren Repräsentanten er zweifellos auf die finsterste Weise zweifelhaft erscheinen würde.
Er sichert sich ab, indem er das Kind nicht dem Wald überlässt. So barbarisch ist die Wahrheit.
Empfindungsloser*innen in der Baumkathedrale von Greenwood
Die Botanikerin Jacinda Greenwood* führt solvente Spinner*innern, die als Spitzenkräfte der Wirtschaft täglich an der Vernichtung der grünen Lebensbasis beteiligt sind, in die „Baumkathedrale von Greenwood“. Da überlebt unter extrem erschwerten Bedingungen einer der weltweit letzten Primärwälder. Im Fluidum der ökologischen Klimaxgesellschaft erreichen die Pilger*innen hohe Grade der esoterischen Verzückung. Sie umarmen Bäume und lecken lecker Borke. Für sie ist Mother Nature eine verwüstete Puffvettel, die ihnen Wahrnehmungsorgasmen in der Preisklasse hochgestochener Besinnungsaufsätze verschaffen soll.
Manche Pilger*innen scheitern am Sockel der Erregung. Kein Veitstanz rockt sich. Die bedauernswerten Empfindungsloser*innen müssen ihre Höhepunkte vortäuschen.
Wie erbärmlich ist das denn.
*Der Familienname verweist auf ein Imperium. Jacinda, genannt Jake, ist aber so dunkel & arm wie die indonesischen Zimmermädchen und salvadorianischen Hausmeister. Dem geborenen Gesinde erscheint die Waldläuferin Jake als Verkörperung „eines kaum vorstellbaren Niedergangs“.
Jake macht sich Sorgen um zwei - von milder Bräune gezeichnete - Tannen. So geht die Geschichte los.
Im Würgegriff des Staubs
Corbyn Gallant hat die Villa mit dem unverstellten Meerblick, „die luxuriöseste und begehrteste Unterkunft der Insel“; ausgebucht auf Jahre. Der Superpilger lädt die Pfadfinderin Jacinda Greenwood ein.
Man fragt sich, mit welchen Absichten?
Jacinda, genannt Jake, führt solvente Spinner*innern der Alphaklasse, die als Spitzenkräfte der Wirtschaft täglich an der Vernichtung der grünen Lebensbasis beteiligt sind, durch die Restbestände vorgeblich unberührter Natur.
So verdient sich die Botanikerin ihren Lebensunterhalt in einer auf den Hund gebrachten Welt.
Wir schreiben das Jahr 2038.
Im Pradakleid bricht Jake die Regeln des Systems, das sie erhält. Dem Personal ist privater Umgang mit den Pilgern verboten. Hauptberuflich zieht Jake täglich die Show einer Baumflüsterin ab. Nebenberuflich macht sie sich die Sorgen einer Wissenschaftlerin. Nun tritt sie über ihre Ufer. Michael Christie erzählt das so, dass wir den Film schon vor Augen haben, der demnächst nach seiner Vorlage als Klimathriller in die Kinos kommen wird.
Ach so, The Greenwood Resort liegt in Kanada, „Amerikas höflicher … Schwester“. Die „Lagerhalle für Rohstoffe“ ist „zur weltweit ersten Adresse“ für solche geworden, die es sich leisten können, besser zu leben als der vom Dreck überschwemmte Rest.
„Feinste Möbel aus dänischem Teakholz“ und Bücher aus Papier beeindrucken Jake gegen ihren Willen. Vergeblich stemmt sie sich gegen die Wirkung des Protzes. Es ist, als würde ihr ein Bad auf vollendete Weise eingelassen.
Corbyn prahlt dezent. Er schmeichelt der Subalternen mit einer aufwendigen Werbung. Jake kommt in den Genuss von Lebensmitteln, die kein Normalsterblicher seit dem großen Welken auch nur noch als optischen Reiz kennt. Ich rede von Knoblauch, echten Tomaten und Lachs.
Der Sex danach ist nicht der Rede wert. In dem allgemeinen Desaster spielt das keine Rolle mehr. Interessant bleibt nur, dass Jake, die gelernt haben sollte, keiner Angelegenheit mehr besondere Bedeutung zu geben, sich in gewisser Weise geschlagen geben muss, weil sie Corbyns Understatement-Marken nicht erreicht. Er konsumiert die Erlösungsprogramme der ausgedünnten Oberschicht so zynisch wie ein Pseudoguru die Erlösungserwartungen des Publikums.
Corbyn reagiert kongenial auf Verhältnisse, die Jake immer noch butterweich werden lassen.
Am nächsten Morgen begegnet sie ihrem Ex-Verlobten Silas. Er ist gekommen, um Jake ein Angebot zu machen, das sie nicht ausschlagen kann.