Kälte hat alles im Griff im Knast. Glamour-Caimanera Monteynard sitzt in der Haftanstalt Montreal, auch Bordeaux genannt, weil die Gegend vor den Gittern einst so hieß. Bis 1962 wurde im Bordeaux hingerichtet. Man hängte die Delinquenz rustikal am Hals auf. Glamour-Caimanera vermutet einen abgeholzten Garten Eden auf dem mit Verzweiflung und Angst zugeschissenen Boden jener Tatsachen, die sie festhalten. Ihre Elendsgenossinnen sind Gilda Elğızılik-Úluburun, eine vom Glauben abgefallene, ihrer amtlichen Würde verlustig gegangene Pfarrerin, und Inessa Saweljewa. Als Neunzehnjährige gelangte Inessa aus der Oblast Archangelsk nach Montreal. Sie kommt baltischdeutschen Aristokrat:innen nach, die im 19. Jahrhundert der griechischstämmigen Bourgeoisie von Mariupol in die Parade fuhren. Hundert Jahre später riss sie die Oktoberrevolution aus ihrem Stand. Man deportierte sie ins sowjetische Hinterland, wo sie das Projekt ihrer Erniedrigung bis zur letzten Stufe durchzogen. Wir wissen es alle. So ein Abstieg lässt sich nicht befehlen. Er vollzieht sich in Prozessen der Nachgiebigkeit, über die ich heute nicht reden will. Mit zweiundzwanzig ist Inessa im Trio die einzige, die sich darüber wundert, da zu sein, wo sie ist.
Gilda sollte sich auch nicht wundern. Sie war zwischendurch mal sehr am Ende und kurz davor, in Mülltonnen zu wühlen. Im Gefängnis wirkt Gilda aber so respekterheischend wie eine Päpstin.
Welche Koinzidenz - Glamour-Caimanera ist die Tochter einer estländischen Pastorin. Die Mutter vollbrachte ein titanisches Werk in aller Stille und Unauffälligkeit. Sie wirkte mit protestantischer Selbstlosigkeit in der Tundra von Beansland. Das evangelische Arbeitsethos wird von ihr selbst retrospektiv in dem vergessenen Brevier Bemerkungen einer Weitgereisten angesprochen. Immer wieder kehrt Glamour-Caimanera zu der geistlichen Genese ihrer in einer glaubensgleichgültigen Familie aufgewachsenen Mutter zurück. Sie habe sich von der religiösen Nachlässigkeit ihres Klans nach der Begegnung mit einem freundlichen Weißen Hai distanziert.
Glamour-Caimaneras Erzählung spielt mit den Ingredienzien eines famosen Feierabend-Existenzialismus. Inessa sagt das nichts.