Der Teil der rechtsradikalen Subkultur Roms, der zusammen mit den CasaPound Aktivisten Anfang der 2000er mit den Besetzungen angefangen hatte und wie CasaPound in der Fiamma Tricolore untergekommen war, blieb auch weiter der Aktionsform der Besetzungen treu. Siehe Giuliano Castellino und das „Casa d’Italia Prati“. Auch in den kommenden Jahren war diese Szene mit Besetzungen aktiv und thematisierten mittels dieser Aktionsform die steigende Wohnungsmisere in Rom — immer wieder, unter anderen Namen und in neuen Allianzen. Und weit länger als CasaPound betrieben sie diese Praxis. Giuliano Castellino gehört dabei zu den bekanntesten Exponenten dieses Kreises, die sich heute der „Forza Nuova“ (FN) zugehörig fühlen. Castellino ist mittlerweile hochrangiger „Forza Nuova“-Funktionär und Koordinator von „Roma ai Romani“ (dt.: Rom den Römern), einer Gruppe, die der „Forza Nuova“ nahe steht.
So besetzten Castellino und sein Anhang am 25. Juni 2012 das „Cinema Augustus“ am Corso Vittorio Emanuele 203, um einen sozialen Treffpunkt daraus zu machen. Das ehemalige Kino wurde aber am 26. März des folgenden Jahres wieder geräumt.50 Im Dezember 2012 führte die FN drei symbolische Besetzungen gegen Spekulationen durch.51 Am 9. Dezember 2016 besetzte die FN kurzfristig eine Etage des Übergangswohnheims von Torrevecchia, um gegen die Wohnungsnot zu protestieren.52 Und am 30. Januar 2017 besetzte die Gruppe „Roma ai Romani“ unter Giuliano Castellino temporär ein Haus in der Via Cardinale Celso Costantini.53 Ein weiteres Mal besetzte „Roma ai Romani“ und „Forza Nuova“ kurze Zeit das ehemalige faschistische „Casa della Gioventù“ am Largo Aschianghi.54 So eine vermutlich nicht komplette Übersicht der Besetzungen durch die „Forza Nuova“ und ihrer Strukturen in Rom.
Neben diesen völkisch-kontaminierten, symbolischen Aktionen gegen Wohnraumspekulation und für bezahlbaren Wohnraum organisierte „Forza Nuova“ auch Besetzungen mit anderen politischen Hintergründen. So im Rahmen innerparteilicher Auseinandersetzungen, wie z.B. im September 2017.55
Aber auch in ihren rassistischen Mobilisierungen der letzten Jahre setzte „Forza Nuova“ Besetzungen als Kampfform in Rom ein. So nahm die faschistische Kleinstpartei im Jahr 2016 mehrere nebeneinander liegende Läden der öffentlichen Immobilienagentur Ater in der Via Taranto in Beschlag, um in dem römischen Stadtteil San Giovanni Lebensmittel an „rein italienische“ Familien abzugeben.56 Dieser Treffpunkt der „Forza Nuova“ und die Lebensmittelverteilungen gibt es noch heute.57
Waren diese Besetzungen als Mittel zur Inklusion von Menschen gedacht, so nutzte die „Forza Nuova“ Besetzungen auch als Mittel zur Exklusion von Menschen. Die Inklusion gilt den „ethnisch reinen“ Italiener*innen, die Exklusion den Migrant*innen. Dabei ist bei einer Inklusion nicht an die bestehende sozio-politische Ordnung Italiens gedacht, sondern an das Modell, das sich die Faschist*innen alternativ für Italien denken. Inklusion in eine „Volksgemeinschaft in spe“, bzw. in die Bewegung dorthin. Mit dieser „nationalen Solidarität“ gilt es Sympathien zu wecken und Anhänger*innen zu rekrutieren. Hausbesetzungen werden als Mittel zur rassistischen Segregation und Selektion verstanden.
So besetzte „Forza Nuova“ im Januar 2017 kurzfristig den Teilbereich eines Gebäudes, das von der Kommune als temporäre Unterkunft für durchreisende Migrant*innen gedacht war.58 Ein anderes Mal wurde eine Besetzung am 22. März 2017 als Protestform gegen die geplante Unterkunft von Migrant*innen im römischen Stadtteil Trionfale genutzt.59 Aber auch in unbedeutenderen Fällen nutzte die „Forza Nuova“ diese Aktionsform. So etwa am 24. Januar 2017 zur Vertreibung einer ägyptischen Familie aus einem Wohnhaus. Die Immobiliengesellschaft Ater ließ hier ein „italienisches“ Paar zwangsräumen und sprach einer anderen — diesmal ausländischen — Familie die leer werdende Wohnung zu. So agierte „Forza Nuova“ auf einer ethnisch zuschreibenden Ebene und spielte in der Wohnungsfrage die Bedürfnisse von autochthoner und nicht-autochthoner Bevölkerung gegeneinander aus.60 In Rahmen dieser Auseinandersetzung fand vier Tage später eine weitere Besetzung des Ater-Sitzes statt.61 Auch „Forza Nuova“ polarisiert, ethnisiert und eskaliert die bestehenden sozialen Widersprüche. Hausbesetzungen sind für sie ein Mittel der rassistischen Mobilisierung und Straßenpolitik.
Längst spricht man von den rassistischen Auseinandersetzungen in Italiens Vorstädten als „guerra tra poveri“ (dt.: Krieg unter Armen)62, einem Krieg, bei dem nicht einmal die faschistischen Hassprediger*innen aktiv werden müssen, wie die Vertreibung einer marokkanischen Familie im römischen Stadtteil San Basilio im Dezember 2016 beweist.63
Rechte Besetzungen außerhalb Roms
Aber auch fernab von Rom fanden rechte Besetzungen statt. Diese wurden von unterschiedlichen faschistischen Gruppen durchgeführt. Oft wurden die rechten Besetzungen in kurzer Zeit von der Polizei geräumt. So im Juli 2001 das „Spazio Sociale Venerdi 13“ in Vicenza64, in Catania im Jahr 2005, in Turin, Bari und Brescia im Jahr 2008 und in Ostia Lido im Jahr 2009. Auch die Besetzung eines leerstehenden Klosters in Neapel durch CasaPound am 12. September 2009 konnte sich nicht halten. Antifaschist*innen hatten kurzerhand in der Nähe des „Hic Manebimus Optime“ (H.M.O.) (dt. Hier wird es uns sehr gut ergehen) eine eigene Besetzung inszeniert. Der neapolitanischen Polizei wurde die entstandene Dynamik zu viel und sie räumte beide Gebäude. Im März 2010 kam es in Pescia zu einer kurzfristigen symbolischen Besetzung und in Lamezia Terme scheiterte eine „Occupazioni a Scopo Abitativo“ in dem gleichen Jahr nach kurzer Zeit.Erfolgreich waren bzw. Bestand hatten folgende Besetzungen: Am 26. Dezember 2006 wurde im 70 Kilometer von Rom entfernt liegenden Latina ein leerstehendes Haus des italienischen Energiekonzerns „Enel S.p.A.“ besetzt. Die Besetzer*innen nannten es CasaPound Latina. Im Dezember letzten Jahres feierte CasaPound Latina sein 12jähriges Bestehen.65 Am 9. April 2009 wurde das „Spazio Libero Cervantes“ in der Via Santa Sofia 42 in Catania besetzt.66 Es existiert seit neun Jahren und ist das einzige „Occupazione Non Conforme“ in Süditalien. Im Sommer 2017 sollen die Faschist*innen des „Spazio Libero Cervantes“ geholfen haben, die rassistische und menschenfeindliche Anti-Migrationsaktion der so genannten „Identitären“ mit dem Schiff „C-Star“ vorzubereiten.
Außerhalb, aber noch zur Metropolitanstadt Rom zählend, wurde am 4. Juni 2007 in der rund 90.000 Einwohner*innen zählenden Stadt Guidonia Montecelio, das „Casa d’Italia Colleverde“ besetzt. Bis in den Februar diesen Jahres bewohnten Besetzer*innen die ehemalige Schule in der Via Montebianco 27 im Stadtteil Colleverde. Obendrein diente die rund 30 Kilometer vom römischen Zentrum gelegene Immobilie als Konzert- und Veranstaltungsort diverser Gruppen der extremen Rechten, wie der „Azione Tradizionale“, „Coordinamento Militante“, „RaiDo“, aber auch von Nazi-Skinheads. Am 20. Februar 2019 wurde das Gebäude von der Polizei geräumt.67
Der Stand der Dinge
Längst ist die Nutzung der Aktionsform der Hausbesetzung durch extreme Rechte kein Novum mehr in Italien. Und vorbei sind die Zeiten, da Hausbesetzungen ein Primat emanzipatorischer, linker oder subkultureller Bewegungen waren. Schwerpunkt der Besetzer*innenbewegung von Rechts war bzw. ist Rom. Dabei ist in der Hauptstadt nicht allein die CasaPound Italia als Akteurin zu nennen. Parteinahe Strukturen der ehemaligen „Alleanza Nazionale“, vor allem aber die „Forza Nuova“, haben Besetzungen schon lange in ihren Aktionskanon integriert. Dabei ist es CasaPound Italia, die die „Centri Sociali di Destra“ wie ein Gütesiegel für sich beanspruchen. Sie nutzt die Besetzungen zur Inszenierung als national-revolutionäre Bewegung und Special-Brand im transnationalen Export ihres Bewegungsmodells.
Im Jahr 2019 — nach 18 Jahren Besetzungen von Rechts — können die “Centri Sociali di Destra” landesweit nur auf sechs bestehende Squats verweisen. Und von diesen “Centri Sociali di Destra” kann CasaPound Italia lediglich drei Besetzungen auf sich verbuchen. Die Landeshauptstadt weist vier rechte Besetzungen auf. Davon hält CasaPound Italia zwei besetzte Objekte. Den „Circolo Futurista Casal Bertone“ und die „Via Napoleone III“. Mit dem „Foro 753“ verfügen die der ehemaligen „Allianza Nazionale“ nahen Strukturen über eine langjähriges Zentrum und die „Forza Nuova“ hält seit drei Jahren die Via Taranto im Stadtteil San Giovanni besetzt. Von den zwei außerhalb Roms liegenden Besetzungen ist nur die Besetzung in Latina der CasaPound Italia zuzurechnen.
Die Zeiten, in denen sich faschistische Neubesetzungen in Italien halten können, sind schon lange vorbei. Und auch die Besetzungen der „Forza Nuova“, die sie in ihren Kampagnen für ethnisch „rein italienische“ Familien und/oder zur Vertreibung migrantischer Familien unternimmt, haben eine kurze Lebensdauer und weisen eher einen symbolischen Charakter auf. CasaPound Italia hat seit 2013 keinen wahrnehmbaren Besetzungsversuch mehr unternommen. Ihre letzte erfolgreiche Besetzung liegt 11 Jahre zurück und wurde im Jahr 2015 geräumt. Die Bilanz die CasaPound Italia aufzuweisen hat ist — gelinde gesagt — mickrig. Und das nicht nur im Vergleich zu den besetzten Zentren der Linken und der „Recht auf Wohnen“-Bewegung. Da hilft es wenig, wenn auf dem Wikipedia-Artikel zu den “Centri Sociali di Destra” für Rom neun, statt vier Besetzungen aufgezählt werden.68 Zu einer Aktualisierung des Wiki-Eintrags fehlt es den Autor*innen anscheinend an Mut.69 Nicht CasaPound Italia, sondern die „Forza Nuova“ sind zur Zeit die Faschist*innen, die Hausbesetzungen als Instrument in ihrer Straßenmobilisierung und Kampagnenpolitik aktiv einbauen. CasaPound Italia hingegen ruht sich auf alten Lorbeeren aus.
Auch das Image der CasaPound Italia als Kämpferin für Wohnrechte steht auf schwachen Füßen. Ihr Narrativ, das der Hauptsitz in der Via Napoleone III für in Not geratene italienische Familien eine Zuflucht darstellen würde, ist stark umstritten. Die Hauptstadtpresse bestreitet diese Selbstdarstellung und spricht mittlerweile vom „Grand Hotel CasaPound“ 70, das vorwiegend den eigenen Mitgliedern und Freund*innen zu Gute käme. Die Bewohner*innen würden sich jeder Kontrolle entziehen. Dadurch würde der Stadt Rom allein im Jahr 300.000 Euro Mieteinnahmen entgehen. Aufgerechnet auf die Jahre der Besetzung hätte CasaPound Italia der Stadt Rom ca. 4 Millionen Euro abgenommen. Und so wie die Kommune sich nicht um eine Räumung des Gebäudes kümmert, wird den Faschist*innen trotz des „Decreto Lupi“ aus dem Jahr 2014 auch nicht der notwendige Strom und das Wasser abgesperrt.
Und auch die Funktion eines Sozialzentrums wird für den Hauptsitz der CasaPound Italia bestritten. Die Nachbarschaft würde, so die Presse, das Gebäude nicht als interaktiven sozialen Partner empfinden, sondern allein als ein politisches Zentrum, von dem dann und wann Patrouillen, so genannte “passeggiate per la sicurezza” (dt.: Sicherheitsspaziergänge), in den Stadtteil einsickerten, um eine faschistische Ordnungsmacht zu spielen und Anwohner*innen rassistisch zu drangsalieren. Indirekt passt dies auch zu der Selbstdarstellung der CasaPound, die von sich als eine „ambasciata d’Italia” (dt.: italienische Botschaft) in einem multi-ethnischen Stadtteil spricht.
50 „Occupato il cinema Augustus, Castellino: „Spazio abbandonato““ (Roma Today, 25.06.2012); „Sgomberato l’ex cinema Augustus“ (La Repubblica, 26.03.2013)
51 „EUR: Forza Nuova occupa Tre Fontane, Luneur ed ex Velodromo“ (Roma Today, 12.11.2012)
52 „Roma ai romani, case agli italiani“: blitz di cittadini e Forza Nuova, occupato il municipio XIV“ (tg 5 stelle, 09.12.2016)
53 „Roma ai Romani e l’occupazione delle case libera a Primavalle“ (Fascinazione, 30.01.2017)
54 „Roma, ex Gil di Trastevere: altri due milioni dalla Regione per la riapertura a luglio“ (La Repubblica, 22.04.2017)
55 „Roma, ri-occupazione via Paisiello: pc che “scottano” nell’ex sede di Francesco Storace“ (Osservatore Italia, 18.09.2017); „No Ius soli e via gli immigrati, Forza Nuova apre il „fortino“ di via Paisiello ai romani senzacasa“ (Il Tempo, 31.08.2017)
56 „Roma, Forza Nuova occupa edifici Ater a San Giovanni. „Mensa per soli italiani““ (La Repubblica, 11.09.2017); „Roma, sull’Appia via il Centro sociale ma rimane lo spazio occupato da Forza Nuova“ (Corriere della Serra, 04.09.2018)
57 Foto der Forza Nuova in der Via Ater (Facebook Site von Forza Nuova, 12.11.2017)
58 „Migranti al Ferrhotel, protesta la destra romana. Il comitato: „Non permetteremo l’apertura““ (Roma Today, 21.01.2017)
59 „Roma, blitz di Forza Nuova e Roma ai romani: „No sfratti per centro accoglienza““ (La Repubblica, 22.03.2017)
60 „Sfratto a una donna incinta. E il Comune assegna la casa agli egiziani“ (Il giornale, 24.01.2017)
61 „Estrema destra contro gli sfratti: „Noi regolari da 753 anni prima di Cristo““ (Il giornale, 28.01.2017)
62 „Roma, quella guerra tra poveri che racconta un’Italia sconosciuta alle élite“ (Il Fatto Quotidiano, 07.12.2016)
63 „Roma, gli abitanti delle case popolari cacciano una famiglia marocchina: “Qui non vogliamo negri”“ (Il Fatto Quotidiano, 06.12.2016); „Famiglia marocchina cacciata a Roma, Comune: “La casa è stata rioccupata, ma non sappiamo da chi”“ (Il Fatto Quotidiano, 08.12.2016)
64 Spazio Sociale “Venerdì 13”, Vicenza“ (digilander.libero.it, Juli 2001)
65 Foto: „12 anni di CasaPound Latina“ (Facebook-Site: CasaPound Latina, 23.11.2018)
66 Internet-Site Spazio libero Cervantes, La storia
67 „Colleverde di Guidonia: sgomberata l’occupazione di Casa d’Italia“ (Roma today, 20.02.2019)
68 Lista Centri Sociali Romani (Romattiva.wordpress)
69 Wikipedia: Centro sociale di destra
70 „I camerati abusivi di CasaPound: parenti e amici vivono gratis nel centro di Roma“ (L‚Espresso, 01.03.2018)