In Stimmungen aus dem Formenkreis von Hoffnung und Verderben drehen die Heldinnen in Margaret Goldsmiths erstmals 1931 erschienenen Roman „Patience geht vorüber“ ihre Kreise zwischen den Polen Naivität und dem dekorativen Zynismus der Neuen Sachlichkeit.
Champagnerprickeln aus der Körperkellerei
1918. Die Nachkriegsgesellschaft feiert sich um den Verstand. In einer Welt der ausgestellten Eingeweide rückt man bei jeder Gelegenheit - Geburt, Geburtstag, Beförderung - in den klassenübergreifenden, Milieus kurzschließenden Plüschmansarden der biederen Gemütlichkeit, die wie ein Schatten jeder Blutzeit folgt, zusammen; von sedierender Sentimentalität geschwängert. Der Frieden ist ein Bürgerkrieg. In Konditoreien geht man in Deckung. In Stimmungen aus dem Formenkreis von Hoffnung und Verderben drehen die Heldinnen in Margaret Goldsmiths erstmals 1931 erschienenen Roman „Patience geht vorüber“ ihre Kreise zwischen den Polen Naivität und dem dekorativen Zynismus der Neuen Sachlichkeit.
Margaret Goldsmith, „Patience geht vorüber“, Roman, herausgegeben und mit einem Nachwort von Eckhard Gruber, AvivA Verlag, 224 Seiten, 19,-
Patience von Zimmern sieht so aus, als habe ihr Schöpfer zur Abwechslung einmal Haute Couture anstatt das ewige Pret-à-Porter („Fabrikware der Natur“, Nietzsche) dem Weltgeschehen unterjubeln wollen. Die Tochter einer Engländerin und eines distinguierten deutschen Mediziners hängt einem somnambulen Sozialismusbegriff an. In ihrem moribunden Selbstverständnis strebt sie nach etwas, das es nicht geben wird. Elegisch suhlt sie sich in der Vergeblichkeit. Walter Benjamin wusste schließlich auch, dass man ihn im verwirklichten Kommunismus an die Wand stellen würde.
Das kennt man als Genre. Lapsus & Ennui spielen zusammen.
Die Rolle der Naiven als Garçonne füllt Grete Linsenmeyer aus. Zum Bubikopf trägt sich selbstgenähte Kleider. Die Schönheiten Patience & Grete küssen sich, um das Champagnerprickeln aus der Körperkelter hervorzulocken und heraus zu kitzeln. Gerade haben sie in Berlin ihr Abitur gemacht.
Aus der Ankündigung
Die Zwanziger Jahre zwischen Berlin und London
»Kaum ein Tag verging, an dem sie sich nicht über ihren ausgefallenen Namen ärgerte. Ihr allzu englischer Vorname hatte ihr als Kind schon große Schwierigkeiten gemacht. ›Sprich Peeschens‹, hatte sie ihren Mitschülerinnen vorbuchstabiert, als sie zum ersten Mal in die Schule ging.«
Während an der Front gekämpft wird, feiern die beiden Schulfreundinnen Patience und Grete im April 1918 in einer kleinen Konditorei in Berlin ihr bestandenes Abitur. Beide sind froh, dass ihnen bei der Prüfung kein Bekenntnis zur Nation abverlangt wurde, stimmen sie doch schon lange nicht mehr in den patriotischen Überschwang ihrer Umgebung mit ein: Grete ist Sozialistin und Patience, die eine englische Mutter hat, wurde von den Mitschülerinnen ständig daran erinnert, dass sie »nicht dazugehört«.
Margaret Goldsmith schildert in ihrem erstmals 1931 veröffentlichten Roman »Patience geht vorüber« die Lebensentwürfe und Enttäuschungen der sympathischen Heldin Patience – von deren leidenschaftlicher Liebe zu Grete bis zum »neusachlichen« Umgang mit Beziehungen Ende der 1920er-Jahre, der Arbeit als Journalistin zwischen Deutschland und England bis zur Karriere als Medizinerin, die Patience schließlich in die USA führt. Zwischen den Klassen, den Nationen, aber auch den Geschlechtern stehend, lotet die junge Berlinerin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Nachkriegskulturen, der Sexualmoral und der Rollenbilder in Deutschland und England aus. Aus der Sicht einer selbstbewussten jungen Frau entsteht dabei ein dichtes Zeitbild vom Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution über die Inflation 1923 bis ins Jahr 1930; charmant, humorvoll und unprätentiös erzählt – und immer wieder überraschend aktuell.